Sie sind hier: Die Glehner Fußfälle



Wie Dr. Bremer in seinen Büchern berichtete, entstanden in den notvollen Jahrzehnten nach dem Dreißigjährigen Krieg an vielen Orten die „Sieben Fußfälle zur Verehrung des bitteren Leidens“. In den Nischen der Fußfälle waren oft Leidensszenen Jesu Christi dargestellt. Auch bei den Glehner Fußfällen muß das der Fall gewesen sein. Vor 70 Jahren (1911) war aber davon schon nichts mehr vorhanden und Pastor Birgel vermerkt in der Chronik: „Weil keine Bildnisse mehr in denselben vorhanden waren, habe ich die ersten fünf Fußfälle am 4. und 5. April (1912) mit neuen Kreuzen geschmückt.“ Die Fußfälle sind die Vorläufer der Kreuzwege in den Kirchen oder auch außerhalb des Gotteshauses, die in unserer Gegend erst in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auftauchen.

In Glehn zog in den früheren Jahren die Karfreitagsprozession zu den Fußfällen. Sie begann nachmittags um 17 Uhr. Zwischen den einzelnen Stationen betete man neben vielen Vaterunsern für die Anliegen von Kirche und Volk den Rosenkranz mit folgenden Gesätzen:

Am Fußfall selber wurden die „Wunden“ gebetet, und es war noch in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts üblich, daß die Teilnehmer dabei möglichst knieten und mit ausgebreiteten Händen beteten. Vor Beginn der Prozession wurden die Fußfälle „jreet jemahd“, d. h. Für die Andacht hergerichtet. In den ersten 100 Jahren genügten dazu frische Blumen, als jedoch die Darstellungen verschwunden waren, mußten Kreuze, Kerzen, Blumen für die Prozession auf Deckchen in die Nischen gestellt werden. Besorgt wurde das von den Nachbarschaften. Die drei Fußfälle von der Natt bis zur Landstraße wurden von den Schlicher Gläubigen versorgt, die anderen von den Glehnern. Zum „Jreet-maake“ gehörte auch das Abschrubben des Sandsteins. Eine kleine Tradition entstand um die Jahrhundertwende in Schlich: Nachdem die Fußfälle für die Glehner Prozession geschmückt waren, zog man nach Liedberg und machte dort die Prozession um den Haag mit.
Zwei Jahrhunderte lang war diese Karfreitagsprozession ungefährdet von allen Zeitströmungen gezogen. Selbst der plötzliche Eifer, den preußische Beamte um den § 10 des Vereinsgesetzes von 1850 an den Tag legten, konnte sie nicht stören. Denn es handelte sich nach Auskunft der örtlichen Polizeibehörde um eine „herkömmliche“ Prozession, und es war sichergestellt, daß sie in Glehn „den Gottesdienst Andersgläubiger nicht stören“ konnte. Im Jahre 1928 fiel sie erstmals dem mehr als schlechten Wetter zum Opfer. Dem gewaltsamen Ende der Karfreitagsprozessionen durch die Nationalsozialisten folgte nach kurzem Aufleben das von neuem liturgischen Verständnis getragene freiwillige Ende. 1938 hatte es noch einen sehr großen und von überaus vielen Männern mitgemachten Bittgang gegeben, 1940 nahmen nur noch einige wenige Gläubige daran teil. Am 11. Mai 1940 erfolgte das behördliche Verbot von Prozessionen. Damit wurden die Fußfälle nicht mehr in Ordnung gehalten. Pfarrer Wiesebrock erwähnt zwar, daß die erste Prozession nach dem Einmarsch der Amerikaner am 25. April 1945 gehalten werden konnte, und zwar „bei guter Teilnahme und gutem Verhalten“, doch findet sich kein Hinweis auf das Aussehen der Fußfälle. Diesen erhalten wir ein Jahr später von dem neuen Glehner Pastor Heinrich Leenders: Bei der Prozession betete man „vor den zum Teil völlig leeren und verwahrlosten Stationen“. Heinrich Leenders kam aus der Jugendarbeit in Essen und hatte von daher ein ganz anderes liturgisches Verständnis und Empfinden als seine Vorgänger in Glehn. Karfreitagsliturgie und Fastenpredigt waren ihm wichtiger.
So ergab es sich zwangsläufig, daß die große Fußfall-Prozession nicht mehr auflebte. 1949 fand sie zum letzten Mal statt.
Doch trotz aller Zeitströmungen sind die Fußfälle in den Herzen alter Glehner lebendig geblieben. Denn, auch das macht ihre Geschichte aus, sie waren von jeher mehr für den „Privatgebrauch“ als für den offiziellen kirchlichen. A. Türks berichtet in ihren „Erinnerungen“ im Buch „Glehn“ von dem Brauch, die Fußfälle zu gehen, wenn jemand „schwer krank war und nicht zum Sterben kommen konnte“. Dieser am ganzen Niederrhein übliche Brauch wird im Rheinischen Wörterbuch (Bd. 2. S. 939) wie folgt beschrieben:
„. . . de Fooßfäll bedde (beane), gon – den Kreuzweg draußen beten, was besonders von (acht) Nachbarmädchen oder Frauen geschieht, wenn im Nachbarhaus einer im Sterben liegt oder gestorben ist; gewöhnlich sind es sieben Stationen, die so gebetet werden . . .“.
Überliefert sind ferner die Ausübung von Gelübden an den Fußfällen, und es hat Männer gegeben , die am Karfreitag siebenmal die sieben Fußfälle betend abschritten.
Von dieser Volksfrömmigkeit sei zum Abschluß unserer Betrachtungen die Fürbitte aufgezeichnet, die in Glehner Platt an den Fußfällen für ein schwerkrankes Kind gebetet wurden:
„Herr, jev em Kenk, wat em nötz und seelich es un halt av van em, wat schädlich es.“

Bleibt noch nachzutragen, daß alle Fußfälle auch heute noch immer mit Blumen geschmückt werden.

Da die Glehner Fußfälle alle nach dem gleichen Plan gebaut sind, soll die ausführliche Baubeschreibung für den ersten genügen.
Die Ausführung übenahmen, nach alter mündlicher Überlieferung, 14 Steinhauer aus Schlich.

Auf einem 40cm hohen Sockel von 103cm Breite und 85cm Tiefe erhebt sich der Bildstock, ganz aus Liedberger Sandstein gefertigt, auf eine Höhe von 2,70m.Die Gesamthöhe differiert bei den sieben Fußfällen um 30cm.
Der Sockel verjüngt sich an der Oberkante auf 85x70cm. Der daraufsitzende Block, 85cm breit, 70cm tief und 54cm hoch, trägt als Schmuck eine Kreuzigungsgruppe.
Aus drei Steinen zusammengefügt, befindet sich darüber eine Nische zur Aufnahme von Kreuzen, Blumen oder Kerzen. Die Nische ist 58cm hoch und 48cm breit. Insgesamt ist dieser Block 90cm hoch.
Zierleisten bilden die Umrahmung der Nische. Darüber haben sich die Stifter mit der Jahreszahl der Errichtung verewigt. Eine breite, reich gegliederte Platte von 130x90cm deckt die drei Böcke ab. Gleichzeitig trägt sie das spitze Dach mit einer Höhe von 55cm- Auf diesem Dach, in einem kleinen quadratischen Sockel, war das Schmiedeeiserne Kreuz eingelassen. ...

Es ist natürlich, daß die Fußfälle im Laufe der Jahre allmählich verfielen. In der Vergangenheit wurden Renovierungen zur Erhaltung für die Nachwelt durchgeführt.
Eine größere Restaurierung ließ Pfr. Birgel 1912 durch den Maurermeister Jakob Wingerath durchführen. Der Fußfall am Hagelkreuz wurde in den 70iger Jahren aufgebessert.

Da die Denkmalbehörden für weitere Restaurierungen keine Genehmigungen erteilen, haben sich die Glehner Heimatfreunde vor einiger Zeit entschlossen die kaum noch lesbaren Inschriften der Nachwelt zu erhalten.
In diesem Jahr wurden Textstelen neben den Fußfällen errichtet auf denen die noch lesbaren bzw. überlieferten Inschriften wiedergegeben werden.
Gleichzeitig wird auf den Textstelen die entsprechende Kreuzwegstation genannt.

Die Finanzierung der Stelen war erst durch die großzügige Spende
der "Sparkassenstiftung Korschenbroich" und durch die Spende
der "Katholische Frauengemeinschaft St. Pankratius Glehn" möglich.


(Auszug aus: Almanach für den Kreis Neuss 1981, "Die Glehner Fußfälle" von Matthias Ahrweiler)






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